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Roman Baltes • Sept. 15, 2022

Hannibal Rider 2022 – Mega-Momente und ein unverhofftes DNF...

Wandeln auf Hannibals Spuren – es sind große Fußstapfen, die der Feldherr hinterlassen hat...


PROLOG


Ich habe mir sehr schwer getan - und deshalb hat es auch lange gebraucht, diesen Bericht zum "Hannibal Rider" zu schreiben. Ein DNF ist immer schon eine schwere Sache, was die mentale Aufbereitung für sich selbst angeht, wenn es aber wie hier aus dem "blauen Himmel" und ohne Eigenverschulden eintritt, ist es einfach nur bitter.


Trotz aller megamäßigen Erfahrungen unterwegs in Sachen Natur / Landschaft wie mit Menschen (offline unterwegs wie online aus der Ferne mit Zuwendung wie Motivation) und trotz einem durch viele positive Erfahrungen wie Nackenschläge auf "langen Kanten" gestählten sowie ohnehin nicht weichen Gemüt (wenn es sein muss oder besser gesagt, man für sich der Meinung ist, dass es sein muss): Schwierig. Sehr schwierig.


Mehr dazu ganz am Ende nochmals - aber lest erst einmal selbst, wie es dazu kam.



BERICHT


Es war schon im Vorfeld klar, dass der "Hannibal Rider" eine epische Angelegenheit werden würde:


Ein „Brevet fédéral“ – also eine „Grande Randonnée“ bzw. ein überlanges Superbrevet – das in maximal 300 Stunden zu bewältigen ist. Facts & figures: 40000 Höhenmeter – 2500 km, davon gut 160 km Schotter – 52 Pässe, dabei fünfzehn über 2000 m üNN und einer über 3000 m üNN


Meine Überlegungen dazu hatte ich hier im Blog in einem Vorbericht daher ja auch ausführlich dargestellt.


Aber: Das Reißbrett oder der Elfenbeinturm sind das Eine. Die Praxis und Realität das andere. Was man als erfahrener Rad-Langstreckler natürlich auch weiß (aber gern verdrängt). Denn: Wer sich an den Start eines Brevets (insbesondere oberhalb 300 km Distanz) oder gar eines "Ultra" im Rennmodus stellt, muss bereit sein, ab KM 0 jeden Plan über den Haufen zu werfen, wenn die Umstände dies erfordern. Es ist ab einem gewissen Zeitpunkt ein einziges "Reagieren – Anpassen – Probleme lösen". Das wiederum erfordert Bereitschaft zur Selbstdisziplin, unendlicher Ruhe auch bei mehreren Schwierigkeiten ("eins nach dem anderen") und Kreativität selbst in Momenten wo Du eigentlich mental und/oder physisch eigentlich völlig down bist. Allein in totaler Autonomie - zumeist auch auf Brevets, bei Ultrarennen ohnehin.


Und "allein unterwegs", das war (einmal mehr) mein Los. Ab "Kilometer 0" raus nach vorn bis zum unverschuldeten vorzeitigen Ende bei KM 1394 mitten in den Alpen. Ich bin dabei die ersten Meter sehr bewusst langsam und bedächtig angegangen, aber schon am Ortsausgang von Pavilly nach der ersten Mini-Welle gab mir ein kurzer Blick zurück die Gewissheit: Da ist schon keiner mehr in Sichtweite hinter Dir...


Mir war klar, dass unter Umständen schon das Verlassen des Seine-Tals bei KM 38 und dem guten Kilometer an Steigung mit langen Passagen über 15% und längeren Spitzen bei um die 20% Steigung auf einem herrlich steilen und schmalen Hohlweg (für ein echtes Flandern-Feeling fehlten eigentlich nur ordentliche "kasseien" bzw. ein grobschlächtiges "pavé") jede Gruppe sprengen könnte. Aber schon bis dahin komplett allein unterwegs zu sein, damit hatte ich nicht gerechnet.



Also in bewährter "Ultra-Manier" allein auf die Reise. Definitiv eine erste deutliche Abweichung zu meinen "Sandkastenspielen" vorher. Trotz enormer Hitze und Friedhöfen ohne Wasser aufgrund der Trockenheit ging es gut voran, um kurz vor Mitternacht war ich von der Normandie vorbei an Paris und durch das Tal der Essonne schon bis nach Gien an der Loire gekommen. Die 350-Kilometer-Marke an Tag 1 zu knacken wenn ich mich gut fühle war aber definitiv neben dem Ziel "Loire-Tal" eine Idee, die ich mir vorher in der Planung schon so überlegt hatte. Also noch ein paar Meter weiter bis sich eine gute Gelegenheit zum Biwakieren ergeben würde.


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Wer Frankreich kennt, weiß, dass Orte in der direkten Nähe zu einem Kernkraftwerk oftmals eine für die Größe des Ortes überragende Infrastruktur aufweisen. Ein solcher Ort direkt auf meinem Weg war das kleine Belleville-sur-Loire (1010 Einwohner). Und siehe da: Mehrere perfekte Möglichkeiten zum Schlafen. Aufgrund der enormen Wärme fiel die Wahl dann auf die breite, glatte Parkbank im Umfeld von Kirche und Rathaus - aber selbst in einer verregneten Nacht hätte man im Umfeld des modernen und riesigen Sportzentrums ein perfektes Plätzchen für ein paar Stunden erholsamem Schlaf finden können.



Nach gut dreieinhalb Stunden Erholung weckte mich das heranrollende Auto der (wie sich gleich herausstellen sollte) Putzfrau der Gemeindeverwaltung. Witzigerweise begann diese aber ihren Arbeitstag nicht im Rathaus (das kam erst an zweiter Stelle) sondern ging zuerst in das absurd großzügige und krachneue öffentliche WC schräg gegenüber um es - ungelogen - piekfein herzurichten. Da habe ich selbst in Drei-Sterne-Hotels schon andere "Einrichtungen" gesehen...


Also Katzenwäsche, Zähneputzen und mit Hunger auf gescheite handgemachte, französische Backwaren direkt vorbei an der "Centrale nucléaire" auf die andere Seite der Loire.



Trotz eigentlich guter Versorgung und einem zwar immer leicht ansteigenden Profil mit der ein oder anderen längeren auch mal mittelsteilen Welle (also eigentlich ein Profil das ich mag, weil es meiner Statur wie Physis sehr entgegenkommt), lief bis an den Fuß des Morvan - eine Ecke die ich im März auf einem Vorbereitungs-1000er erstmals kennen wie lieben gelernt hatte - wenig bis nichts zusammen. Wärme wenn nicht Hitze gepaart mit ordentlich Luftfeuchte, kaum mal ein Baum sondern fast ausschließlich weite Flächen mit "Ackerbau & Viehzucht" kosteten körperlich wie mental langsam aber stetig gewaltig Körner.


In Moulin-Englibert am Fuß des langen Anstiegs nach Bibracte versuchte ich mich im klimatisierten Biosupermarkt sowohl zu verpflegen als auch vor allem abzukühlen. Gefühlt hatte das auch funktioniert, aber im letzten Drittel der Steigung hinauf zum "Col de la Croix du Rebout", dem Übergang des Morvan bei Bibracte direkt unterhalb des Einstiegs zur supersteilen Auffahrt Richtung "Mont Beuvray" (zum Glück ging es da nicht auch noch hoch), gingen irgendwann recht schlagartig die Lichter aus. Überhitzung, kaum mehr Druck auf dem Pedal und keinerlei Abkühlung in Sicht. Dabei wollte ich eigentlich heute definitiv noch bis nach Tournus also zur Saône kommen, was noch weitere, wie mir aus eigener Erfahrung klar war, ordentlich kupierte 100 km bedeutete. Folglich: Nach Erreichen der Passhöhe musste etwas Passieren. Zum Glück wusste ich von obengenanntem Vorbereitungs-1000er im Frühjahr ebenso, dass die Infrastruktur auf der Ostseite des Morvan und speziell in Saint-Léger-sous-Beuvray auf alle Fälle günstiger war als bisher. Und: Zum Glück war der kleine Supermarkt in Saint-Léger im Gegensatz zu meiner Durchfahrt dort im März geöffnet. Eis, Limo, Wasser und vor allem eine Art Feldbett, das wie unzählige Bierzeltgarnituren und Zelte noch vom Dorffest herumstand, waren die perfekte Kombi zum Verpflegen und Schlafen, damit der ganze "Nachschub" auch Gelegenheit finden konnte im Körper anzukommen und mir bei der Passage nach Tournus weiterzuhelfen.



Wer keine Langstrecke fährt oder mal über viele Tage auf Radreise war, macht sich keine Vorstellung von der positiven Auswirkung einer solchen - wenn auch etwas zeitfressenden - Pause auf den Körper. Nach einer knappen Stunde Schlaf fühlt man sich wieder richtig frisch und ich hatte in Folge auf dem Weg via Le Creusot und die ganze Hellinge bis zur zweiten Kontrolle in Saint-Gengoux-le-National sowie die anschließende teilweise mit derben Rampen durchsetzten "Côtes de Mâconnais" direkt oberhalb Tournus einen richtigen Lauf, man kann fast von einem Rausch sprechen. Die "blaue Stunde" inklusive des Sonnenuntergangs gaben einen weiteren Motivationsschub, den am Reißbrett entworfenen Plan meinerseits, bis zum Ende des zweiten Tages an die Saône bei ziemlich exakt KM 600 zu kommen, auch umsetzen zu können.



Der war aber auch nötig, um in Tournus gerade an einem Montag noch eben so vor dem Schlafengehen etwas zu essen zu finden, bevor auch noch das letzte der wenigen geöffneten Restaurants auch den Tag beendet hat (wer viel in Frankreich unterwegs ist, hat sicher auch schon mal Bekanntschaft mit dem berühmten "lundi fermé" gemacht). Und mit leerem Magen ins Nachtbiwak zu gehen, gibt für den folgenden Tag keine gute Perspektive.


Dessert, Kaffee und Wasser gingen beim Abendessen (das im Übrigen eigentlich das des Kochs war, ich war nur 10 Minuten vor Küchenschluss im Laden) dann auch noch "aufs Haus". Es ist mir dabei aber bis jetzt nicht ganz klar, ob die drei Brüder aus Algerien, die zusammen ihren Kebabladen betrieben und sich nach überraschtem ersten Mustern, wer da so spät noch in voller Radmontur ihr Lokal betritt, nun in Bezug auf mein Vorhaben eher beeindruckt waren oder doch eher ernsthaft an meinem Verstand zweifelten. Egal, wir hatten auch nach bald geschlossener Tür und als ich drinnen in Ruhe weiter aufessen konnte, noch unseren Spaß beim Austausch humorvoll-sarkastischer Bemerkungen.



Trotz oder gerade wegen des tiefen Lochs, in das ich im Morvan gefallen war und was das Ganze zu einem klassischen "Tag 2" auf dem "langen Kanten" gemacht hat - der Abschnitt zwischen Loire und Saône hielt in vollem Umfang alles bereit, was mich an dieser, meiner Raddisziplin so fasziniert: Schon weit weg von zu Hause vor Sonnenaufgang los, den beginnenden Tag im Sattel erleben, irgendwann in oder vor einem kleinen Laden frühstücken und das Aufwachen des jeweiligen Ortes mit allen Skurrilitäten der Menschen um einen herum erleben, die ersten topographischen Schwierigkeiten meistern, leere Flaschen – Wärme – Hitze – ausgetrocknete Brunnen, sich Quälen – zäh aber stetig Vorankommen, eine Fehleinschätzung treffen – komplett vor die Wand fahren, Verpflegen "in letzter Not", Siesta – Energie schöpfen, mit "guten Beinen" zurück ins Spiel kommen, die Momente des Abends aufsaugen, sich mit den Menschen austauschen, Nachrichten aus der Ferne bekommen, Verwirrung – Orientierung – Klarheit, Freude – Sehnsucht – Euphorie.


Beobachten. Träumen. Leiden. Fluchen. Kämpfen. Hassen. Fallen. Aufstehen. Lachen. Lieben. Genießen.


Scheitern.


Lernen.


Leben.


Hochkonzentriert.


Bitterschwarz. Dunkelhell. Honigsüß.


Sonnenaufgang. Immer.


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Nach dem positiven Ende dieses fordernden Tages war das Sahnehäubchen der im Nachhinein gesehen beste Schlafplatz des ganzen "Hannibal Rider". Ein Rathaus - schon "rive gauche" der Saône - mit angeschlossener Mehrzweckhalle, wobei der ganze Komplex sicher keine drei Jahre alt ist und mit einem superglatten von der Sonneneinstrahlung des Tages noch schön aufgewärmtem Beton. Zudem: Ein großes Vordach (auch zu fünft wäre noch genug Platz gewesen), null Licht (nicht mal ein Bewegungsmelder), komplette Ruhe und Dunkelheit. Genial zudem, dass meine Vorbereitung mit "StreetView" vorab inklusive der gewagten Spekulation, was aus der Baustelle auf den Bildern mal werden könnte, exakt richtig war.


Nach der ersten Nacht mit doch relativ wenig Schlaf (nur dreieinhalb Stunden) waren bedingt durch das Ende des zweiten Tages schon vor Mitternacht diesmal gut sechs Stunden Ruhe drin. Wichtig, denn einerseits ermüdet das Fahren in der Hitze weit mehr als bei 20 Grad mit leichtbewölktem Himmel, andererseits war ich diesen Bedingungen nun schon zwei Tage ausgesetzt - und: am dritten Tag stand die Durchquerung des Juras auf der Agenda, wiederum sicherlich verbunden mit erneut hohen Temperaturen.


Ich hatte deshalb schon im Vorfeld immer die mahnenden Worte von Kristof Allegaert im Ohr und wusste daher, wie er als Doyen - wenn nicht der GOAT - der Langstreckenszene in dieser Frage denkt (der diesjährige TCR-Sieger Christoph Strasser hat es in seinem Podcast kürzlich auch erwähnt):


"Sleep is an investment. It's no sign of brave or you are no hero when you sleep less. You need to sleep three hours every night."


Also: Ausruhen. Morgen geht's weiter.



Und wie es weiterging:


Herrlicher Sonnenaufgang, eine Bäckerei die während ich vorbeifahre gerade aufsperrt (genau rechtzeitig vor dem Einstieg in den ersten Jura-Climb), die Passage von Val Suran (ein bekannter Ecken für alle, die schon mal mit "ARA Breisgau" die 600 km von Freiburg zum "Mont Ventoux" unter die Räder genommen haben und sicher ein Tal, das von den Römern, vielleicht auch von Hannibal als Verkehrsweg genutzt wurde), die "Belvédère de Cernon" mit dem Blick auf die "Barrage de Vouglans", Saint-Claude (Stadt der Tabakspfeifen), die dritte Kontrolle in Les Bouchoux (was ein schöner kleiner Ort mit einem jungen, super aufgelegten Patron in der "Bar-Épicerie" aka "Dorfkneipe mit Supermarkt"), dahinter der finale Aufstieg ins absolute Hochjura und ein Sonnenuntergang zum Niederknien auf der Abfahrt aus dem Jura nach Châtillon-en-Michaille bereits auf ähnlicher geographischer Breite wie der Genfersee.



Das alles sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch "Tag 3" ständiges "Coursemanagement" erforderte. Zum einen unbarmherzige Hitze von allen Seiten (wenn man im Nachhinein sieht, wie einem der Schweiß da bergauf nach Choux sogar von der Nasenspitze tropft, kommt sofort das Gefühl der irren Überhitzung des Körpers zurück) in Kombination mit leeren "Lavoirs" und kaum ein Brunnen der noch mehr als tropfte.



Zum anderen die Versorgungslage am Abend: Nach einem langen Tag im Bereich des angedachten Schlafplatzes ankommen und dann schlägt eben mal nicht der "lundi fermé" sondern der "congé annuel" zu - heißt: das Restaurant in Châtillon-en-Michaille war geschlossen. Ich war schon im Begriff "off track" Richtung Bellegarde-sur-Valserine zu fahren (ein Ort weiter mit der Infrastruktur einer mittleren Kleinstadt), als in der Whats-App-Gruppe des "Hannibal Rider" die Frage kam, was denn los sei (man hatte wohl auf dem Tracker mein etwas zielloses Bewegungsmuster der letzten Minuten verfolgt). Nachdem ich kurz die Lage skizziert hatte, brachte mich Stéphane Gibon auf die entscheidende Idee - die mir aus eigener Beschränktheit zumindest in diesem Moment nicht einfiel: Ein paar Meter weiter direkt auf dem Track hinter Billiat gab es einen 24/7-Pizza-Automaten - den ich dann auch umgehend ansteuerte, zumal ich einen Ort weiter in Injoux im Umfeld des großen Sportkomplexes dort und am Fuß des "Col de Richemond" - dem Vorberg zum "Grand Colombier" - ohnehin übernachten wollte.


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Man sieht hier mal wieder schön, wie eine Fehlerkette einen vielleicht nicht mental brechen aber doch sehr zusetzen kann bzw. falls man den Tag dann ohne ordentliche Verpflegung beenden muss, einem das alles auch noch den ganzen folgenden Tag körperlich nicht unerhebliche "Freude" bereitet.


Aber warum Fehlerkette?


Erstens hätte diese Info definitiv in mein Vorbereitungs-File gehört (wo es nicht drinstand). Zweitens habe ich auf dem Rückweg vom "Mont Ventoux" nach Freiburg im Herbst 2021 extra den Weg von Grenoble über Chambéry / Aix-les-Bains in Richtung Großraum Genf gewählt, um den gesamten Bereich für etwaige Routenplanungen bei einem "Three Peaks Bike Race" oder einem "Transcontinental Race" auf Versorgungsmöglichkeiten wie Schlafplätze zu scouten. Die Straße von Billiat nach Injoux war ich seinerzeit sogar exakt in Gegenrichtung gefahren (ohne zu wissen, dass hier der "Hannibal Rider" vorbeiführen würde). Als Stéphane mich auf den Automaten hinwies, wusste ich dann witzigerweise sogar, dass ich mir das notiert hatte. Aber eben nur in der großen Bikepackingrennen-Planungskartei (von denen ich - gerade für solch wichtige "Kreuzungsbereiche" von Ost/West- mit Nord/Süd-Verbindungen in Europa - einige habe). Die Infos dort hatte ich im Vorfeld des "Hannibal" aber mal schön links liegen lassen.


Fazit: Man kann bei solch großen Vorhaben also vielfältig scheitern. Selbst wenn man vermeintlich noch alle Informationen gescoutet hat und sie aufbereitet zur Hand haben müsste...




Um kurz nach halb fünf in der Früh machte ich mich dann auf den Weg, um "Tag 4" des "Hannibal" unter die Räder zu nehmen. Dabei gings von Injoux direkt in den Anstieg zum "Col de Richemond" und von dort via Gravel-Kurzanbindung in den Anstieg zum "Grand Colombier". Der Berg ist eigentlich mit seinen gut 1500 m üNN kein Riese, aber er hat es doch in sich: Schon unten im Wald brutal steil, dass man alles was man an Ritzeln montiert hat auch wirklich braucht, gibt er einem oben raus auf den letzten beiden Kilometern mit deutlich über 10% Durchschnittsgradient nochmal richtig einen mit, bevor man am Passschild den ersten Blick auf die Westalpen werfen kann. Wer 2020 die "Tour de France" verfolgt hat, wird sich zudem sicher erinnern: Als es von Lyon her kommend zuerst zweimal über den "Colombier" ging und sich beim dritten Aufstieg oben am Pass die Zielankunft befand, war es hier oben, wo der Stern von Tadej Pogačar endgültig aufging und er seinerzeit erstmals davon sprach, den Gesamtsieg der "Tour" anzupeilen.




Aber genug der topographischen Feinheiten, der Ausblicke und Sportgeschichte: Als ich oben am "Grand Colombier" einklickte, um mich in die Abfahrt zu stürzen hatte ich bedingt durch den sehr frühen Start in den Tag nach der langen Kletterpartie wahnsinnigen Hunger und vor allem auch "Kaffeedurst" und ich freute mich schon auf die wie ich wusste sehr gut sortierte Bäckerei in Seyssel direkt an der malerischen Hängebrücke über die Rhône.


Aber: Ich wurde im oberen Drittel der Abfahrt jäh aus meinen Gedanken gerissen, als drei große, ausgewachsene Wildschweine die Bahn kreuzten und mich zu einer Vollbremsung auf dem schmalen Sträßchen Richtung Anglefort zwangen. Stehenbleiben, durchatmen. Und natürlich per Whats-App in Kontakt mit Orga und den anderen hinter mir treten, um sie entsprechend zu warnen. Denn es war mir bei dem was ich durch das Posten der Kontrollfotos gesehen hatte, glasklar, dass ein Großteil der Randonneure hinter mir wohl in Richtung spätabends oder gar schon im ersten Teil der kommenden Nacht hier entlang kommen würden. Solch ein "Besuch" abseits des Tageslichtes ist dann doch etwas, auf das man sich besser vorgewarnt einstellt als unter Umständen blindlings ins Verderben zu rennen...



Nach Frühstück in Seyssel, dem recht verkehrsreichen Transfer nach Annecy und der ob der Touristenmassen plus der ganzen mit Glasscherben übersäten Radwege dort doch etwas stressigen Passage der Stadt ging es danach nun endlich deutlich ruhiger voran.


Und für den zweiten Teil des Tages war das Menü dann doch sehr hochwertig zusammengestellt: Deutlich längere Anstiege bei immer weiter zunehmenden Temperaturen aber herrlichen Landschaften. Die Orte Plateau de Glières (mit seiner Geschichte als Rückzugsort der Résistance 1939-1944, wo auch Franzosen auf Franzosen schossen - "Vivre libre ou mourir"), Col des Aravis und Col des Saisies und mein Tagesziel in Beaufort, wo ich hinter dem Rathaus nach längerer Suche einen ordentlichen Schlafplatz fand, sprechen für sich.


Kurz: Savoyen vom Feinsten.



Sportlich gesehen alles in allem ein solider Tag, allerdings machten selbst hier im Hochgebirge insbesondere über Mittag die unerträglichen Temperaturen, den ein oder anderen Meter doch zäh wie Kaugummi. Selbst in Saint-Jean-de-Sixt auf immer noch respektabler Höhe über 1000 m üNN hatte es gegen 18:00 Uhr immer noch 31 Grad. Im Grunde hätte es eines Begleitfahrzeug, das einem immer Würfeleis zum Runterkühlen des Körpers bereitstellt, bedurft. Hat es ja aber nicht, also trotz allem Trinken und Abkühlen an Brunnen: Kaum Druck auf dem Pedal.


Die latente Unzufriedenheit mit dieser Situation klaglos-gleichmütig zu akzeptieren (auch um Kraft zu sparen) gehört dann ebenso zur Herausforderung. Es gilt einfach einfach stoisch mit der Hitze klarzukommen.


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Es ist immer ein Alarmzeichen, wenn einen morgens das eigene Magengrummeln weckt - aber ebenso gut wenn einem dann gleich der Duft von Brot und Teilchen aus der Bäckerei ums Eck in die Nase steigt. Vor dem Einstieg via nächster Kontrolle in Arêches in den Col du Pré - ein ebenso bösartig-unnachgiebiges wie wunderschönes Passsträßchen - wäre alles andere als eine ordentliche Stärkung auch Harakiri.



Die malerische Straße zum Col du Pré ist aber nur der Auftakt zu einer der schönsten Straßen der Alpen vorbei am Lac de Roselend und weiter hinauf Richtung Cormet de Roselend. Dabei in der Ferne immer den Mont Blanc im Blick (an diesem Tag leider etwas in Wolken), vorbei an den ganzen Wasserfällen und vor allem der kleinen Kapelle direkt zwischen Straße und Seeufer - was will man mehr?


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Trotz der Mega-Landschaft muss man nach Verlassen der "Barrage de Roselend" nochmals richtig ran, um das letzte Stück zur Passhöhe des "Cormet" zu absolvieren. Warum auch immer, bevor ich auf die abschließende Hochebene - die dann zur letzten "Stufe" bevor das Passschild in Sicht kommt, führt - gingen halb die Lichter aus und viel mehr wie Schleichfahrt ging nicht. Aber ich hatte ja noch die Trikottaschen aus der Bäckerei voll. Und wenn Du Dir die Speicher so leergefahren hast, schmecken auch die plattgedrücktesten mit dem eigenen Schweiß nachgesalzenen "Pains au Chocolat" wie ein Dessert aus einer Sterneküche.


Vor allem: Wenn man es die nächsten Meter nicht übertreibt, stehen die Chancen gut, dass es zügig auch wieder besser läuft. Und genauso war es. Der Bonus aber war der fitte und ausgezehrt-dünne Rennradfahrer aus der Kategorie "Senioren 4" der mich von hinten am Aufrollen war. Als er mich überholte ging das nicht im Eiltempo aber doch stetig-gleichmäßig vonstatten. Daher: Als er vorbei war, startete ich den Versuch, ob meine Beine es erlauben würden, sich ans Hinterrad zu hängen und mich so bis oben zum Pass ziehen zu lassen (der "Hannibal" ist ja kein Ultra-Rennen wo so etwas natürlich verboten ist).


Und siehe da: Es ging. Sogar ganz leidlich. Nach ein paar hundert Metern merkte der "alte Mann" dann, was vor sich ging und war etwas erstaunt, dass ich mich mit Gepäck nachdem er mich überholt hatte, doch nochmals an ihn anhängen konnte. Wie das bei solchen Gelegenheiten immer ist, kamen wir natürlich miteinander ins Gespräch und hatten die letzten Kilometer bis zum Gipfel ein tolles Miteinander. Mit das beste und schönste, was einem in solchen Momenten widerfahren kann, insbesondere wenn man eine Begleitung mit so einem tollen Tempogefühl findet. Umgekehrt wiederum war ich nach Aussage von Julien, dem alten Kämpfer, ein guter Ersatz für seinen Freund (er kam dann gut 5-10 Minuten nach uns oben an), der mit drei Jahren mehr auf der Uhr als er das Tempo am Berg nicht mehr ganz mitgehen konnte. Nachdem wir uns verabschiedet hatten (die beiden Senioren wollten zügig wieder zurück ins "Beaufortain" um nicht auszukühlen), verpflegte ich mich am Markstand (der leider das berühmte Passschild des "Cormet" komplett verdeckte) mit Brot-Käse-Salami (den Génépi ließ ich lieber stehen...) und sog ich die ganze Atmosphäre da oben nochmals auf, bevor ich mich in die herrliche Abfahrt nach Bourg-Saint-Maurice stürzte. Schon hier wohlwissend, dass der nachfolgende Abschnitt zum Col de l'Iséran im unteren Stück bis Val d'Isère ein krasser Gegensatz zum Beginn des Tages bis hierhin und definitiv kein Vergnügen werden würde...



Denn so sehr man vorher in aller Abgeschiedenheit unterwegs war, ab Bourg-Saint-Maurice beginnt eine der hässlichsten Passagen durch die Alpen mit dem Rad. Die Straße bis Tignes (wo die Berge dem reinen Winter-Kommerz geschuldet, komplett vergewaltigt worden sind und immer noch weiter vergewaltigt werden - was ein grauslicher Fleck!) sowie etwas abgeschwächt auch noch bis Val d'Isère (da ist es vor allem aber der Verkehrslärm in den Tunnels und Lawinengalerien, der einem auf den Zeiger geht) spielt in einer Liga mit den kaum zu ertragenden aber eben physisch leicht zu fahrenden und daher oft auf Langstreckenrennen genutzten "Alpen-Transferklassikern" (Vinschgau - Reschen - Inntal - Fernpass / Pustertal / Brenner-Südrampe). Ich hasse diese Pfade wirklich abgrundtief. Am besten kommt man mit dem Rad hier nur nachts bzw. sehr früh morgens vorbei - was auch für den Col du Lautaret gilt, da habe ich es ein paar Tage später auch genauso gehalten.


In solchen Passagen gibt es nur ein Rezept: Kopf aus, kurbeln und sich freuen auf das, was weiter oben landschaftlich noch kommt. Denn das Finale des "Iseran" (dem höchsten asphaltierten Pass der Alpen) ist schlichtweg grandios. Und erinnert sehr an die Nordseite des "Galibier": Eine recht flach-rollende Anfahrt (dort aus Valloire, hier aus Val d' Isère) bis es nach einer 90-Grad-Rechtskurve und der Querung der "Pont-Saint-Charles" über einen Gebirgsbach in die Vollen geht. Verbunden mit einem immer beeindruckenderen Panorama, je höher man kommt. Magnifique!



Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich im letzten Drittel des Berges richtig zu kämpfen hatte: Schon ein paar Tage unterwegs, ein beladenes Rad, breite Reifen, viele Höhenmeter mit großer Hitze den ganzen Tag, der körperliche Abnutzungskampf am Col du Pré wie das stoische Ertragen des Verkehrs hinter Bourg-Saint-Maurice plus allgemein die große Höhe über 2000 m üNN, ja 2500 m üNN.


Dazu muss man wissen: Bergauf sind die absoluten Watt die ich auf akzeptablem Niveau doch halbwegs lange treten kann zwar nützlich, um nicht komplett unterzugehen aber mit gut 80 kg Lebendgewicht kommt irgendwann unweigerlich das Thema "Watt pro Kilogramm" aufs Tapet. Sagt die zierliche Kletterfraktion: Fahren wir eben langsamer und ketten hinten ein oder zwei Ritzel dünner. Das wird nur zum Problem, wenn a) deine Ritzel am Ende sind und b) Du siehst wie alle 50 Höhenmeter deine eigenen noch drückbaren Wattwerte sinken. Warum? Ganz einfach: Die vorgenannten "absoluten Watt" kommen ja irgendwoher, nämlich aus meiner doch recht ausgeprägten Beinmuskulatur. Nun ist Muskulatur ohnehin schon schwerer als andere "Körperbausteine" wie Fettgewebe oder ähnliches - schlimmer: damit die Muskeln funktionieren, brauchen sie Sauerstoff, von dem es da oben immer weniger hat. Ein Teufelskreis. Die Sprinter- und Rollerfraktion kennt, versteht, hasst und liebt es.


Oder wie "Henne" (ein Radkollege aus Saarbrücken) mal treffend während der "dritten Halbzeit" nach der "Marmotte 2018" meinte: "Wenn sich deine Puls- und Wattwerte aus unterschiedlichen Richtungen kommend annähern, dann weißt Du, dass es bald richtig wehtun wird und nur etwas später isses dann halt rum..."


Und genauso ging es mir da oben. Ich musste tief in den roten Bereich hinein, um überhaupt irgendwann am Pass anzukommen. Immer im Hinterkopf mir nicht auch noch einen Krampf einzufangen. Das ist dann der  berühmte "GAU", zwar auch beherrschbar aber es kostet auch wieder Nerven wie Zeit und schmälert insbesondere den Genuss der herrlichen Bergwelt doch erheblich.



Oben angekommen das obligatorische Foto am Passschild und gerade als ich wieder loswollte, kamen von unten zwei deutsche Reiseradler (aber schon eher auf der sportlicheren Seite auf Rennrädern) den Pass von der Südseite hinauf. Sie hielten mich wegen der Werbung auf meinem Trikot erst für einen Südtiroler, was sich dann aber schnell klärte. Leute aus dem "Pott" wie die beiden und wir Saarländer finden immer recht schnell einen Draht zueinander (vielleicht hängt das an der gemeinsamen "Zechen-Vergangenheit"). So wusste ich nach dem Plausch, dass mich weiter unten sicher Regen und Gewitter erwarten würde.


Das war zwar vom Passschild schon zu erahnen (wenn man pessimistisch ist) aber nicht zu sehen, denn man muss bedingt durch die Biegung des Arc-Tales erst ein gutes Stück der Iseran-Südrampe (vielleicht sogar mit die schönste Passstraße der Alpen - und ich übertreibe hier nicht, denn das Urteil von Maria Wilke, die auf dem Rad auch nicht wenig gesehen hat und ein paar Tage nach mir in bester Begleitung dort ebenfalls eine Runde drehte, ist, wie sich beim Erzählen miteinander rausstellte, absolut gleichlautend) fast bis Bonneval-sur-Arc abfahren, um zu sehen, was einen weiter unten Richtung Val-Cenis oder, je nachdem wo man hin will, im Maurienne-Tal erwartet.


Die zwei Recken hatten jedenfalls nicht Zuviel versprochen: Es wurde rasch finster und am Ortsausgang von Bonneval-sur-Arc entschloss ich mich trotz des ursprünglichen Plans, den ich mir morgens gemacht hatte, die Kletterpartie zum Col du Mont-Cenis, den Checkpoint am "Fort de Variselle" und die Abfahrt bis Susa an den Fuß des Colle delle Finestre sein zu lassen und mir mit Blick auf das Wetter ein Hotel für die Nacht zu suchen. Zumal die ganze "brodelnde Gewittersuppe" aus Italien kam, also genau dorther, wo ich hin wollte.


Wer sowas nicht selbst gemacht hat (also über Tage aufs Geratewohl mit dem Rad und minimalistischem Gepäck irgendwo hin in die Walachei), denkt sich jetzt: "Kein Hotel gebucht, zudem August und Hochsaison - wie soll das (zumal zu nem vernünftigen Kurs) klappen?" Aber es klappt. Immer wieder. So auch hier. Schon das zweite Telefonat ein Volltreffer: Wer mal in der Ecke und einer ähnlichen Situation ist, sei La Vieille Poste sehr empfohlen. Klar ist es nicht das "Ritz", aber ein junges (polnisches!) Team macht einen Mega-Job und man bekommt vor allem auch noch etwas Gescheites zu essen bis spät abends. Auch nicht unwichtig, wenn man auf dem Rad noch ein bissl was vor sich hat...


Abstrakt gesprochen: Habe Mut und ein gesundes Vertrauen (in die Menschen und die Dinge wie Dich selbst) - dann wird sich schon alles fügen. Am Ende des Tages findet sich immer ein Weg.


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Neuer Tag, neues Glück. Sollte man meinen und stimmt auch allermeist. Aber nicht an diesem Morgen...


Im Hotel hatte man nämlich vergessen, die Tür zum Radkeller aufzulassen, daher ging es erst zwei Stunden später wie geplant los. Und vor allem: Ohne Frühstück - Folge: Es ging den eigentlich von Lanslebourg leichten bis sehr leichten Col du Mont-Cenis schon viel zu zäh nach oben. Kurz vor der Passhöhe kam dann der berühmte "Mann mit dem Hammer" auch bekannt als Hungerast. Es gibt dann wenig Alternativen, als einen Teil der "eisernen Reserve" zu plündern, sich etwas Ruhe zu gönnen und dann erst Mal langsam weiterzufahren. Ansonsten kommt der nächste "Niederschlag" mit Ansage.


Zum Glück kommt man bei einer Gegend wie oben am Mont-Cenis-Pass sehr schnell auf andere Gedanken: Das ganze Plateau ist von außergewöhnlicher Schönheit und den Beweis für die Richtigkeit des Spruchs "Life is Better in the Mountains" den kann man hier perfekt führen. Diese Schönheit wiederum steht in krassem Gegensatz zur kriegerischen Vergangenheit der Hochebene, wo sich Italiener und Franzosen über fast 100 Jahre immer wieder Auseinandersetzungen lieferten.


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Zeugnis davon und wichtiger Teil des gesamten Campo trincerato del Moncenisio war das kurz hinter dem Mont-Cenis-Pass gelegene "Fort Variselle" - zugleich der nächste Kontrollpunkt des "Hannibal Rider". Ein Umstand, der absolut Sinn macht, denn wenn Hannibal zur Überquerung der Alpen einen Pass genutzt haben wird, dann wird seine Karawane hier am Mont-Cenis vorbeigekommen sein. Denn von Norden her kommend via Maurienne-Tal gibt es fast keinen einfacheren Übergang über den Alpenhauptkamm. Denn hat man den Pass gepackt, geht es relativ einfach über Susa und Turin nur noch bergab in Richtung Po-Ebene.


Aber zurück zum Checkpoint "Fort Variselle" bzw. zum Weg dorthin. Es ist definitiv so, dass der "Hannibal Rider", was das Thema "Naturstraße" angeht, hier so richtig beginnt. Ist der Weg oberhalb des Stausees bis zur Einmündung in den Schlussanstieg noch "a piece of cake" (wenn man als Nachwirkung des Hungerastes kurz vorher nicht rollend eine ganze Packung "Cacahouètes" vertilgt), so stellt der letzte Kilometer die Stichstraße hoch zum Fort technisch wie physisch mit einem Gravelbike schon eine mittelgroße Plackerei dar und würde auch eigentlich (insbesondere mit Gepäck am Rad) ein Hardtail erfordern. Bergab ist es mit ein paar Skills und entsprechend gemäßigter Pace durchaus komplett fahrbar. Wenn ich das hinbekomme, sollte das für die Allermeisten auch kein Problem darstellen.


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Diesen ersten "Oxer" ohne Abwurf und Strafpunkte im Sack sowie mit der Packung Nüsse fürs erste wieder halbwegs adäquat mit Salz wie Nährstoffen versorgt, gab es über die Staumauer des "Lac du Mont Cenis" und dann weiter bergab eigentlich nur eine Richtung: CONFINE DI STATO FRANCIA / ITALIA ... aber eine mobile Kontrolle des französischen Zolls spielte Betriebsbremse. Erst nach Ausweiskontrolle und Öffnen aller Taschen durfte ich weiter.


"Bienvenue en Europe sans frontières!" Aber gut, andere Kollegen auf der Langstrecke haben das ja an anderer Stelle auch schon erlebt.


Die Abfahrt nach Susa erfolgte dann nicht über die Hauptstraße sondern sehr fein ausgesucht und faktisch autoverkehrsfrei, wenn auch mit ein paar Höhenmetern mehr, über Monceniso / Novalesa. Ein ruhig-malerischer Ecken, "Provence Vibes" in der Lombardei.


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Das anschließende Verpflegen in der Mittagshitze in Susa passte top, ich hatte nämlich schon wieder Bärenhunger. Eingedenk dessen, was ich erst im Juli (ich meine auf Eurosport im Zuge der Übertragungen der diesjährigen "Tour de France") bei Marcus Burghardt, einem von mir sehr geschätzten (mittlerweile ehemaligen) Berufsradfahrer der "alten Schule" mit einem für einen Helfer aber mehr als beachtlichen Palmarès, aufgeschnappt hatte, waren bei "Verpflegen in Italien" insbesondere die zwei Flaschen Chinotto gesetzt.


Kurz und knapp: Burgis Tipp mit der bitteren Limo-Zuckerbombe gegen den Hungerast in Vor- wie Nachsorge funktioniert. Zuverlässig. Und besser als mit Cola. Das "Frühstücksdefizit" war damit endlich erfolgreich ausgemerzt.



Umsichtiger Umgang mit dem Körper war bei dem, was danach auf dem Programm stand - insbesondere alles auch noch in der vollen Mittagshitze - mehr als geboten: Colle delle Finestre und Colle dell' Assietta mit der kompletten Assietta-Kammstraße bis wieder hinab nach Oulx bieten schon für eine Graveltour ohne Gepäck "just for fun" ein ausgefülltes Tagesprogramm.


Also keine Zeit vertrödeln und den Aufstieg zum "Finestre" beginnen. Ganz unten ist der Anstieg im Gegensatz zu weiter oben (der Gravelpart beginnt ja erst nach etwa KM 10 der 18 km Gesamtanstieg mit 9,1% Gradient im Schnitt) richtig brutal: 17% meinte mein GARMIN unten in Meana di Susa und im Bereich kurz bevor es in den Wald geht. Über 30 Grad und eine irre Luftfeuchte on top.


Thema "Luftfeuchte": Wer sich die Bilder vom Mont-Cenis mit Kennerblick betrachtet hat, sieht, dass die Atmosphäre schon morgens früh alles im Köcher hatte, damit es irgendwann richtig zu Brodeln beginnt und irgendwann auch zündet. Ich war kaum im Wald hörte man schon Donner, irgendwann fing es auch zu nieseln an, aber so richtig wollte es auf der Seite des Tals, wo ich mich befand, sich nicht zum Gewitter durchringen. Aber je höher ich kam, desto klarer wurde: Es gibt Ärger. Und das wird nicht mehr lange dauern.



Oben an der Passhöhe hatten es die ganzen Gewitter um mich herum dann geschafft, den Kreis zu schließen. Das tat aber meiner Begeisterung am Passschild zumindest kurz keinen Abbruch: Ich war aus tiefstem Herzen glücklich, hier oben zu sein, nachdem mir 2019 eine Verletzung im Sitzbereich den Start beim "Three Peaks Bike Race" mit Checkpoint hier oben gekostet hatte und ich war echt begeistert, wie elegant-spielerisch dieser Pass der "hors catégorie" zu fahren ist. Gut, unten am Anfang ist es brutales Geochse auf zusammengenommen einem knappen Kilometer, aber dahinter ist der "Finestre" eine reine Schönheit, überwiegend gleichmäßig (wenn auch mit einem Gradient weit oberhalb eines "Rollerberges") und ideal selbst für einen durchschnittlichen Kletterer.


Zurück ins Geschehen: Kurz nach dem Foto am Pass ein Blitz und kaum später ein richtig derber Donnerschlag. Ich habe während Bergtouren insbesondere in den Ostalpen mit Gewitter gerade auch im Bereich von Graten schon das ein oder andere "Tänzchen" hinter mir. Nichts was ich bei aller Abenteuerlust und "Outdoor-Addiction" brauche. Und man ist auch hier über 2000 m üNN im Hochgebirge und damit ist dann in solchen Situationen selbst im Hochsommer nicht zu spaßen. Also aufs Rad und ganz schnell weg von der Passhöhe in einen kleinen Kessel, wo sich direkt vor Einstieg in die Strada dell' Assietta das Rifugio "Pian del Alpe" befand. Keine zwei Minuten hatte ich das Rad abgestellt, ging es los: Dunkelheit wie in der Dämmerung, Blitz und Donner, Vollwaschgang.


Auch hier wie am Vorabend in Lanslebourg eine ganz junge Truppe, die die Hütte bewirtschaftete und mir sofort schon mal unaufgefordert ein Panino mit selbstproduziertem Frischkäse und einem rohen Schinken auf Niveau "internationaler Klasse" aus der Region hinstellte.


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Während ich gemütlich im Obergeschoss (geheizt durch die Wärme der "cucina" direkt darunter) aß und trank, kamen zwei Mountainbiker aus der Richtung wo ich noch hinwollte, nämlich dem "Colle dell' Assietta" zur Tür herein. Der jüngere und schmalere der Zwei stolpernd, zitternd wie Espenlaub, blaue Lippen, komplett durchgefroren und auch unterzuckert. Die Hüttenleute hatten zum Glück einen guten Schlafsack da, sein Kollege hatte den 17-jährigen Jungen schon komplett von seinen klatschnassen Klamotten befreit, als ich dann mit dem Schlafsack anrückte und der Knabe sich darin erstmal aufwärmen konnte. Noch ein paar Tassen Brühe später ging es langsam wieder aufwärts.


Mit dem Älteren der beiden (der Onkel des Jungen) sowie den Hüttenleuten kam ich währenddessen ins Plaudern - die anderen allesamt Italiener, aber um mich nicht auszuschließen (ein wenig Italienisch bekomme ich schon auf die Reihe, aber für ein vernünftiges Gespräch reicht es klar nicht), nahmen sie Rücksicht und sprachen Französisch. Hier sei noch angemerkt: Wer italienische Muttersprachler nur mal Französisch sprechen gehört hat, das Zuhören allein ist eigentlich schon immer Eintritt wert...


Lovin' it! Mega!


Aber auch inhaltlich, war das, was ich erfuhr, wertvoll. Kurz hinter den beiden Mountainbikern musste es durch das Unwetter auf der Assietta-Straße einen Erdrutsch gegeben haben, ein Quad war schon nicht mehr durchgekommen. Da es draußen immer noch übel aussah, fragte ich die Hüttenleute (die Einschätzung eines "locals" ist am Berg immer mehr wert wie jedes Wetterradar!), wie sie das mit dem Wetter sehen würden. Klare Ansage: Mindestens noch 90 Minuten Gewitter aber danach würde es für zwei bis drei Stunden aufklaren bevor die nächste Front käme.


Ich war sofort am Kalkulieren und die Lage war wie folgt:


  • Wenn alle Stricke reißen, hätte ich hier in der Hütte ein sicheres, luxuriöses Nachtquartier. Das hatte mir die Frau im Hüttenteam direkt angeboten.
  • Selbst wenn es aber nur noch 90 Minuten so dahingehen würde, würde es "arschknapp" werden, zumindest den oberen technischen und steileren Teil der Abfahrt von der Kammstraße auf Schotter nach Oulx noch halbwegs im Hellen in Angriff nehmen zu können.
  • Zudem war das Kalkulieren mit einer normalen Zeitschiene auch noch von mehreren weiteren Faktoren abhängig, u.a. ob es nur den einen Erdrutsch oder doch mehrere gegeben hatte und ob man kraxelnd mit bepacktem Rad über alle etwaigen Hindernisse kommen würde.
  • Andererseits hat es hinter dem Colle dell' Assietta noch ein Rifugio (mit Übernachtungsmöglichkeit) und grundsätzlich habe ich irgendwann mal gelernt, dass man, wenn es eng wird, mit "Wirkung vor Deckung" besser fährt als umgekehrt.


Da es dann in der Tat nach einer guten Stunde aufhörte und recht schnell aufklarte, ging ich das kalkulierte Risiko ein und brach nach Oulx auf.


Long story short: Dass an zwei weiteren Stellen die Assietta-Straße faktisch verschüttet war und die nächste Regenfront schneller als gedacht näher rückte wie auch zuschlug, machten die Nummer zu keiner angenehmen Sache. Ebenso wie die schneidende, nasse Kälte kurz bevor es endlich final bergab ging. Alles kein Geschenk und ganz am Ende durch den Wald nach Oulx, wo der Lehmanteil der Straße höher war als am freiliegenden Kamm, war es stellenweise durch die Nässe eher „Skifahren“ bzw. "Gleiten" als „Radfahren“. Zudem ob der ganzen Verzögerungen durch die ganzen Hindernisse in absoluter Dunkelheit. Nicht zu empfehlen. Erfordert viel Nerven, Koordination und auch noch Kraft in Kombi mit Körperspannung. 


Letztlich alles gut gegangen und dadurch definitiv ein unvergesslicher Nachmittag wie Abend.


Aber auch Fakt: Nicht nachmachen, Kids!


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Als ich unten in Oulx ankam, war ich schlagartig in einer anderen Welt: Große "Kermesse" mit Fahrgeschäften, Schießbude und einem Heidenlärm. Nur schnell das Weite suchen und - natürlich! - etwas essen. Auf einen kleinen Kebabladen "Horas Kebab" hinter einer Automaten-Tankstelle (fast nicht zu erkennen) fiel die Wahl. Ich hätte an diesem Abend zwar eine Pizza bevorzugt, aber ich war für ein "normales Restaurant" einfach zu spät dran.


Der "Patrono" fragte natürlich wo ich herkam - meine nervliche Angeschlagenheit ob der gruseligen Abfahrt von der Kammstraße stand mir wohl ins Gesicht geschrieben und war vermutlich noch mehr Anlass seiner Nachfrage als die (sehr vereinfacht gesagt) mir sehr angenehme Art der Araber so warmherzig-humorvoll-positiv und hilfsbereit wie auch neugierig auf fremde Menschen zuzugehen. Mit Blick auf meine Reise konnte er nur den Kopf schütteln, wir hatten aber ab dem Zeitpunkt, da er wusste, dass ich aus der Nähe von Saarbrücken komme, eine gemeinsame Basis: Er kenne die Stadt zwar nur von Verkehrsschildern, aber seine Eltern, die im Zuge des Algerienkriegs nach Frankreich geflohen waren, lebten wie seine Schwester noch heute in Metz und ihn habe es nur der Liebe wegen hierher kurz hinter die italienisch-französische Grenze verschlagen. Er sei aber öfters in Lothringen bei der Familie.


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Ich saß also bis zum "bitteren Ende" mit Yasser, der mir nacheinander noch zwei hausgemachte Tiramisu plus Kaffee "aufs Haus" servierte, in seinem Laden zusammen. Und ich hatte ja noch einen offenen Punkt: Einen Schlafplatz finden. Mir war beim Hereingehen schon aufgefallen, dass der überdachte Teil der Außenterrasse ums Eck nur von vorn zugänglich war und im seitlich offenen Bereich perfekt durch eine hohe und dichte Hecke abgeschirmt war. Was lag also näher, als Yasser zu fragen, ob ich mich für ein paar Stunden bei ihm auf die Terrasse legen könnte (um 05:00 Uhr machte die erste Bäckerei ein paar hundert Meter weiter auf und ich hatte mit dem "Colle Sommeiller" auf 3000 m üNN morgen das "Dach" der Tour vor mir, ein frühes Aufbrechen war also zwingend).


Ich hatte die Frage kaum ausformuliert, da war Yasser schon wortlos auf dem Weg nach hinten ins Lager und brachte eine übergroße Menge an Luftpolsterfolie hervor. Ich solle es mir darauf gemütlich machen und die Folie später einfach im Eck der Terrasse deponieren. Alles selbstverständlich und kein Problem.


Auch an diesem Abend wieder: Habe Mut und ein gesundes Vertrauen (in die Menschen und die Dinge wie Dich selbst) - dann wird sich schon alles fügen. Am Ende des Tages findet sich immer ein Weg.


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Die Öffnung der Bäckerei (mit einer für den kleinen Laden völlig überdimensionierten Mega-Siebträger-Maschine) um 05:00 Uhr schaffte ich nicht ganz, nach dem ersten Wecker nahm ich doch noch eine Runde Extra-Schlaf auf dem sehr gemütlichen Nachtlager.


Mit Blick auf die dicke Aufgabe, die mich hinter Bardonecchia mit dem Aufstieg zum Colle Sommeiller auf 3000 m üNN erwartete, fiel es mir schwer, mich auf den Weg zu machen. Aber irgendwann muss man dann doch mal die erste Pedalumdrehung wagen, auch wenn man im tiefsten Innern mehr als großen Respekt vor dem, was da kommt, hat.


Sind die ersten Kilometer bis Rochemolles (eine wunderschöne Kirche für diesen Mini-Ort) noch asphaltiert, beginnt ab der Mautstation am Ortsausgang der Tanz. Der gut fahrbare Gravel im ersten Abschnitt bis zum Rifugio Scarfiotti (tolle Wasserfälle!) lässt einen auch trotz der Höhe (hier sind wir schon im Bereich von 2000 m üNN) noch sehr gut bis passabel vorankommen. Danach wird es mit einem Gravelrad die reine Hölle: Zunehmende Steilheit, eine von den Einwirkungen des (Schmelz-) Wassers wie den vielen vielen Motocross-Maschinen aufgefahrenen wie mit Rinnen versehenen Weg.


Nach Überwindung dieser ersten Stufe bietet sich über den "Pian dei Morti" (man beachte den Namen!) eine vorletzte kurze Möglichkeit sich bei sehr niedrigen Steigungsprozenten zu erholen, bevor man sich auf sich weiter verschlechterndem Weg zur nächsten (Zwischen-) Hochfläche macht. Es folgen die letzten etwa 400 Höhenmeter auf gut vier Kilometer - immer unbarmherzig in Kehren bergauf zur Kontrolle am höchsten Punkt des "Hannibal Rider". Alles auf einem Untergrund, der die Bezeichnung "Weg" gerade noch so verdient.


Selbst nach den längeren Wochen, in denen ich die Eindrücke dieses Tages gewiss mehr als ausreichend verarbeiten und für mich werten konnte, vermag ich doch keine bessere Formulierung des Ganzen zu finden, als ich diese am "Tag X" wieder zurück auf Asphalt an der Mautstation in meinem Social-Media-Tagebuch bereits festgehalten habe:


KM 1261 - Kontrolle 9 - "Colle Sommeiller" - das "Dach" des "Hannibal Rider" auf 3000 m üNN


12:15 Uhr war die Durchgangszeit dort oben abseits aller Zivilisation & Handynetze. Letzte 4 km waren für mich mit der Übersetzung in dieser Höhe auf einem Pfad, wo man mindestens mit einem Hardtail antreten sollte, unfahrbar. Soviel Watt wie dazu nötig, habe ich über 2700 m üNN nicht mehr. Mit einem unbepackten Rad wäre es wohl gerade so gelungen. So wird dann halt geschoben. Lange geschoben. Auf dem Rad war das sicher mit weitem Abstand das Anspruchsvollste, was ich mir je angetan habe. Es ist klar, dass da auch wieder runterzukommen, ein heikles Unterfangen werden kann ohne Schwindelfreiheit - findet sich die beste Spur für alle „Ungefederten“ immer so am Abgrund… „Die Kunst ist, heil wieder zurückzukommen.“ Es ist schön wenn man den Inhalt des Satzes von Reinhold Messner mal wieder live spüren durfte.


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Als ich letztlich wieder unten in Bardonecchia ankam, war ich doch ziemlich hinüber: Einerseits Erleichterung über die erfolgreiche Passage des "Sommeiller", andererseits das erste Spüren der Intensität der wahnsinnig vielen Eindrücke wie der physischen Anforderungen in den letzten sieben Tagen. Da ist so ein Spannungsabfall durchaus nichts Ungewöhnliches. Ich hatte schon ernsthaft in Erwägung gezogen, den Tag hier an dieser Stelle nachmittags um 14:00 Uhr zu beenden.


Aber das Verpflegen und ein kurzes Nickerchen im Schatten brachten mich wieder zurück auf die Spur. Da ich den bald folgenden Col du Lautaret ob des grausamen Verkehrs auf der Nationalstraße dorthin unbedingt bei Nacht nehmen wollte, war klar: Über den Col de l'Echelle musste ich noch drüber, dann bin ich schon wieder zurück in Frankreich und die lange Abfahrt bis Briançon würde ebenso ein Kinderspiel werden, wie dort oder noch etwas weiter in Serre Chevalier etwas zu Abendessen zu finden. Und jede Menge sehr gute Bushäuschen mit breiten Holzbänken zum Schlafen hat es dort entlang des Weges zum "Lautaret" auch. Eine gute Ortskenntnis ist eben doch manchmal unersetzlich und gibt Sicherheit...


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Nach fünf Stunden Schlaf ging es um drei Uhr in der Frühe weiter, mit dem Plan gegen 05:00 Uhr am Col du Lautaret zu sein. Auch das eine sehr gute Taktik. Faktisch verkehrsfrei mit ganzen acht Autos unterwegs die mir entweder entgegengekommen sind oder mich bis zum Pass überholt haben.



Wie mir ebenfalls bekannt war, gab es gut zehn Kilometer hinter dem "Lautaret" in La Grave eine weitere Möglichkeit sehr komfortabel noch eine Runde zu schlafen bis die kleine Bäckerei dort wieder ihre Türen öffnet. Gesagt, getan - denn: Gut zu verpflegen ist nach so vielen Tagen mit einem irren Kalorienverbrauch der Schlüssel, damit es immer weitergehen kann, insbesondere wenn direkt danach mit dem Plateau d' Emparis und der Kontrolle am "Réfuge du Fay" der letzte "Naturstraßengigant" auf dem Programm steht.


Das unerwartete Ende wenige Minuten nach erfolgreichem Erklettern des Plateaus und Absolvieren der Kontrolle war zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht abzusehen. Das Tagebuch notiert daher am "Réfuge du Fay" noch gutgelaunt:


KM 1384 - Kontrolle 10


"Refuge du Fay" (Plateau d’Emparis) - was eine geile ursprüngliche Hütte, wo noch auf dem offenen Feuer gekocht wird. Geht gleich weiter auf Naturstrasse zum "Col de Sarenne" und dann hinab nach Bourg d’Oisans. Der Abschnitt hier hat übrigens große Gemeinsamkeiten mit dem letzten Parcours des #tcrno7 (das Fiona Kolbinger gewonnen hatte).


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Und die gute Stimmung ist bei den Bildern mit der einmaligen Atmosphäre wie Panorama da oben auch nur allzu verständlich und gibt die richtige Motivation, um auch noch den Col de Sarenne relativ leichtfüßig und positiv gestimmt anzugehen.


Tja, es sollte (unverschuldeterweise) anders kommen:


Im Bewusstsein, dass mir nun seit Start allen weit vorausfahrend zudem auf einer sehr guten Piste die letzte lange Gravelabfahrt bevorstehen würde, bin ich sehr gebremst und vernünftig an die Sache herangegangen.


Aber selbst vorsichtiges und langsames Fahren nutzt Dir eben wenig, wenn Dir aus einer Kurve heraus ein Auto überschnell von unten kommend gefühlt entgegenfliegt und Du exakt in dem Moment, wo sich auf der Piste ausgerechnet eine größere Sandansammlung befindet, die Eisen so voll zuhauen musst, dass es Dir wiederum bedingt durch den Sand das Vorderrad weghaut.


Dann ist ganz fix "aus die Maus". Abflug, zwei geprellte Rippen (es war zum Glück letztlich weniger wie es sich direkt nach dem Vorfall angefühlt hatte), ein abgerissenes Schaltwerk. Aber auch hier wieder nette Menschen, die mich erst nach Besse in eine Bar und dann weiter nach Bourg d'Oisans inklusive Rad abtransportierten, damit mich das Shuttle aus der Heimat von dort wieder nach Hause bringen konnte.



EPILOG


Wie ich ganz zu Beginn schrieb: Der Bericht war schwierig, vielleicht schwieriger als jeder einzelne der acht Tage auf dem Rad. Es war nach dem technisch bedingten DNF in Lübeck bei "Bikepacking Sweet16" im September 2020 (Reifenplatzer), dem physisch bedingten DNF in Zernez beim "Three Peaks Bike Race" im Juli 2021 (Knie) und dem äußeren Umständen geschuldeten DNF in Saint-Imier bei "Belchen Satt" im Juli 2021 (Wettersturz) innerhalb von zwei Jahren das vierte DNF, diesmal allerdings hatte ich daran kaum einen Eigenanteil.


So etwas nagt dennoch, zumal man auch manche wenig freundlichen bis abschätzigen Kommentare hinter vorgehaltener Hand ja doch immer zugetragen bekommt und man daher genau weiß, was so läuft und wie teilweise so gedacht wird. Weiter will ich aber gar nicht darauf eingehen. Diese Negativität frisst nämlich irgendwann ihre eigenen Kinder. Keine Zeit für so etwas bzw. "not my cup of tea". Denn wie bereits gesagt:



Scheitern.


Lernen.


Leben.


Hochkonzentriert.


Bitterschwarz. Dunkelhell. Honigsüß.


Sonnenaufgang. Immer.



Ein Dialog mit Leona Kringe aka Heimatnomadin über die fehlende Kultur des Scheiterns bei uns, hat mich neben der langen Selbstreflexion dann letztlich an den Punkt gebracht, den entscheidenden Schritt weiterzukommen und diesen Bericht doch noch fertigzustellen. Leona schrieb mir:


"So eine DNF-Kultur oder zumindest ein offenes Sprechen darüber, wäre schon sehr gesund für uns alle. Ich wundere mich oft bei den ganzen Rennen, die gerade so stattfinden. Sind Teilnehmende Nummer 1-5 im Ziel scheint der Rest uninteressant zu werden ... aber ich glaube dass da die guten, tiefen Geschichten erst anfangen. Wäre schön da mehr von zu hören."


Danke, Leona! Dem ist nichts hinzuzufügen.


von Roman Baltes 15 Sept., 2022
PROLOG Ich habe mir sehr schwer getan - und deshalb hat es auch lange gebraucht, diesen Bericht zum "Hannibal Rider" zu schreiben. Ein DNF ist immer schon eine schwere Sache, was die mentale Aufbereitung für sich selbst angeht, wenn es aber wie hier aus dem "blauen Himmel" und ohne Eigenverschulden eintritt, ist es einfach nur bitter. Trotz aller megamäßigen Erfahrungen unterwegs in Sachen Natur / Landschaft wie mit Menschen (offline unterwegs wie online aus der Ferne mit Zuwendung wie Motivation) und trotz einem durch viele positive Erfahrungen wie Nackenschläge auf "langen Kanten" gestählten sowie ohnehin nicht weichen Gemüt (wenn es sein muss oder besser gesagt, man für sich der Meinung ist, dass es sein muss): Schwierig. Sehr schwierig. Mehr dazu ganz am Ende nochmals - aber lest erst einmal selbst, wie es dazu kam. BERICHT Es war schon im Vorfeld klar, dass der "Hannibal Rider" eine epische Angelegenheit werden würde: Ein „Brevet fédéral“ – also eine „Grande Randonnée“ bzw. ein überlanges Superbrevet – das in maximal 300 Stunden zu bewältigen ist. Facts & figures: 40000 Höhenmeter – 2500 km, davon gut 160 km Schotter – 52 Pässe, dabei fünfzehn über 2000 m üNN und einer über 3000 m üNN Meine Überlegungen dazu hatte ich hier im Blog in einem Vorbericht daher ja auch ausführlich dargestellt. Aber: Das Reißbrett oder der Elfenbeinturm sind das Eine. Die Praxis und Realität das andere. Was man als erfahrener Rad-Langstreckler natürlich auch weiß (aber gern verdrängt). Denn: Wer sich an den Start eines Brevets (insbesondere oberhalb 300 km Distanz) oder gar eines "Ultra" im Rennmodus stellt, muss bereit sein, ab KM 0 jeden Plan über den Haufen zu werfen, wenn die Umstände dies erfordern. Es ist ab einem gewissen Zeitpunkt ein einziges "Reagieren – Anpassen – Probleme lösen". Das wiederum erfordert Bereitschaft zur Selbstdisziplin, unendlicher Ruhe auch bei mehreren Schwierigkeiten ("eins nach dem anderen") und Kreativität selbst in Momenten wo Du eigentlich mental und/oder physisch eigentlich völlig down bist. Allein in totaler Autonomie - zumeist auch auf Brevets, bei Ultrarennen ohnehin. Und "allein unterwegs", das war (einmal mehr) mein Los. Ab "Kilometer 0" raus nach vorn bis zum unverschuldeten vorzeitigen Ende bei KM 1394 mitten in den Alpen. Ich bin dabei die ersten Meter sehr bewusst langsam und bedächtig angegangen, aber schon am Ortsausgang von Pavilly nach der ersten Mini-Welle gab mir ein kurzer Blick zurück die Gewissheit: Da ist schon keiner mehr in Sichtweite hinter Dir... Mir war klar, dass unter Umständen schon das Verlassen des Seine-Tals bei KM 38 und dem guten Kilometer an Steigung mit langen Passagen über 15% und längeren Spitzen bei um die 20% Steigung auf einem herrlich steilen und schmalen Hohlweg (für ein echtes Flandern-Feeling fehlten eigentlich nur ordentliche "kasseien" bzw. ein grobschlächtiges "pavé") jede Gruppe sprengen könnte. Aber schon bis dahin komplett allein unterwegs zu sein, damit hatte ich nicht gerechnet.
von Roman Baltes 29 Juli, 2022
Heiß, staubig, steil und anspruchsvoll – der „Hannibal Rider“ wird eine Herausforderung: 2500 km Radfahren in völliger Autonomie von Pavilly (Seine-Maritime) bei Rouen auf den Spuren Hannibals in Richtung Westalpen bzw. italienisches Piemont und wieder zurück nach Pavilly. Ein „Brevet fédéral“ – also eine „Grande Randonnée“ bzw. ein überlanges Superbrevet – das in maximal 300 Stunden zu bewältigen ist. Facts & figures: Start am 31.07. um 07:00 Uhr – 40000 Höhenmeter – 2500 km, davon gut 160 km Schotter – 52 Pässe, dabei fünfzehn über 2000 m üNN und einer über 3000 m üNN Es geht dabei von der Normandie bis ins Piemont auf kleinen, idyllischen und friedlichen Straßen – wobei die Schwierigkeiten des Tracks nach und nach zunehmen. Zuerst geht es durch einige schöne Hügel in den regionalen Naturparks („Boucles de la Seine Normande“, „Haute Vallée de Chevreuse“, „Gâtinais Français“ & „Morvan“) dann folgen die ersten Pässe ohne große Schwierigkeiten im „Haut Jura“.
von Roman Baltes 12 Juli, 2022
Neben der Idee, in 2022 nur ein Ultracycling-Rennen mit der „Mittelgebirge Classique“ zu fahren, um gewissermaßen ein „Zwischenjahr“ einzulegen, war es mein erklärter Plan sich dieses Jahr einerseits auf noch unbekannte Pfade zu begeben (ich war zwar schon mit und ohne Rad mehrfach in Tschechien, aber noch nicht allein auch mal derart abseits „in the middle of nowhere“) bzw. andererseits mindestens in ein Land zu fahren, wo man noch nicht mal ansatzweise einen Brocken der Sprache beherrscht. Denn Tschechisch hat sowohl mit meiner deutschen Muttersprache als auch mit Französisch oder Englisch (die ich beide äußerst leidlich beherrsche) wie auch mit Flämisch oder Italienisch (bei denen es zu verstehen und immerhin ganz einfacher Basiskommunikation reicht) so rein gar keine Verwandtschaft. 1000 km auf dem Rad im Brevet-Modus bedeuten, dass man für eine Homologation bzw. ein erfolgreiches Finish „egal wie“ – aber in jedem Fall ausschließlich mit eigener Muskelkraft – nach maximal 75 Stunden im Ziel sein muss. Das „egal wie“ sollte man nicht ganz so locker nehmen, wie es klingt, denn wie die Jungs bei „ARA München“ schreiben, gilt natürlich: „Wir betreiben den Randonneurssport gemäß den Regeln des BRM und legen Wert auf Autonomie und Eigenverantwortung bei unseren Brevets. Daher sind Begleitfahrzeuge strikt verboten und führen zur Nicht-Homologation, auch beim 1000er. Für Verpflegungs- und Übernachtungsmöglichkeiten hat jeder Teilnehmer selbst zu sorgen.“ Wenn man es auf den Punkt bringen will, wir sprechen hier von einem 1000er auf dem Rad – und egal was man vorher schon mal gefahren ist – es gilt das, was ich Vinzenz Mai am Vorabend des Startes geschrieben hatte: „Das ist ein 1000er und bei allem oberhalb 300 wird es immer, für jeden, eine Menge Holz. Das Terrain ist aber quasi Ostfrankreich an anderer Stelle des Kontinents, also keine „Climbers Challenge“ wie zB die „Mittelgebirge Classique“ oder auch die Superrandonnée „Belchen Satt“. Und da Abwechslung das Salz in der Suppe ist: Ich freu mich drauf.“ Wie Recht im Allgemeinen und Unrecht im Besonderen ich haben sollte, würde sich erst später zeigen… Nach einer eher unentspannten Anreise mit Zügen am Rande der Kapazität wie auch verpasstem Anschluss in Würzburg im Stil der neumodischen Erscheinung „Neun-Euro-Tours“ kam ich doch noch zu einer vernünftigen Zeit in München an, was es erlaubte, die Startunterlagen vor Check-In ins Hotel schon am Vorabend des Starts abzuholen. Mit dem Rad zum Hotel, Essen, Schlafen, mit dem Rad zurück zum Bahnhof, dort den Reise-Rucksack mit den Zivilklamotten ins Schließfach packen und dann entspannt zum Vorstart rollen. Dort angekommen traf ich dann sowohl auf die anderen Teilnehmer wie auch Brian Lautenschläger und Tino Knauth – beides erfahrene Langstrecken-Veterane. Man kennt sich, schätzt sich und so kommt nun der fast schon schönste Teil der Veranstaltung beim gemeinsamen Frühstück im „3 Mills“, wo man Zeit hat, sich bei aller Vorspannung doch ein letztes Mal noch gemütlich auszutauschen. Eher ungewöhnlich für einen 1000er ging es dann Punkt 08:00 Uhr morgens vom Roecklplatz aus auf die Reise. Die ersten 300 km bis Linz auf sehr guten Straßen mit Rückenwind und klassischem Rouleur-Terrain (also nicht „flach“ wie vom Veranstalter angegeben, sondern durchaus kupiert) waren wie gemacht für mich. So war es auf dem Weg zur ersten Kontrolle in Ried (A) nicht verwunderlich, dass unsere Gruppe immer kleiner wurde – zuerst noch zu viert mit Carsten, Jörg und Leonard. Letzterer musste dann irgendwann in den letzten beiden Wellen vor Ried auch ob seiner „Vorbelastung“ in den Pyrenäen etwas gemäßigter weiterfahren. Zu dritt schlugen wir nach gut 200 km und faktisch ohne Pause in Ried an der ersten Kontrolle auf, mit einem Schnitt weit über der markanten 30 km/h. Nach kurzem Auftanken ging es weiter nach Linz, genieselt hatte es schon die ganze Zeit, jetzt fing es für ein paar Meter etwa stärker zu regnen an, es hörte aber gerade in dem Moment auf, als wir einen Gedanken daran verschwendeten, ob es nicht sinnvoll sein könnte, die Regenjacke anzuziehen. In der letzten Rampe vor der Abfahrt ins Donautal und Kurs auf Linz (Kontrolle 2) nehmend, beschlich mich schon das Gefühl, dass die Pace vorneraus für mich etwas Zuviel des Guten war. Ich sollte Recht behalten: Die Übernahme von Führungsarbeit schon im Flachen bis Linz fiel mir zunehmend schwerer und nach der zweiten Kontrolle und ausgiebigem Abendessen war berghoch auf dem Weg ins Mühlviertel (es sind hier bis zur österreichisch-tschechischen Grenze allein auf dem längsten zusammenhängenden Anstieg gut 500 Höhenmeter zu bewältigen) recht schnell der Ofen aus und ich ließ meine Begleiter Carsten und Jörg ziehen um in einem gleichmäßigen, etwas langsameren Tempo die Reise fortzusetzen. Über mehrere kurze, giftige Rampen kam ich dann beim letzten Tageslicht in Deutsch-Hörschlag an, zugleich der letzte Ort in Österreich und schon hier war man mittlerweile in einer Einsamkeit unterwegs, dass der Ausdruck „wo sich Hase und Igel Gute Nacht sagen“ voll zutreffend war – auch ohne dass mir ein ganzes Hasenrudel auf dem asphaltfreien, mit unangenehmen Schotter-Querrinnen gespickten Weg zur Grenze nach Český Heršlák (deutsch: Böhmisch Hörschlag) begegnet wäre. Mit Blick in meine Fahrtrichtung nach Norden weiter nach Tschechien hinein wurde meine Stimmung schlechter: Es hatte in der Dämmerung doch massiv zugezogen und in Rožmitál na Šumavě (deutsch: Rosenthal im Böhmerwald) kam es zum ersten Mal richtig nass von oben herunter. Ich erspähte in der Dorfmitte einen abgestellten Reisebus – und die Intention war richtig: Wo ein Bus parkt, ist auch ein Bushäuschen. Also dort rein, Regenjacke an und während ich das dickste der kleinen Front abwartete, schloss Marcus von hinten zu mir auf. Auf den unübersichtlichen, schmalen, kleinen, schlechten und mit einigen heftigen Rampen (mit Spitzen knapp unter den 20%) gesalzenen Sträßchen – weitestgehend auch noch durch dichten Wald – machten wir bis kurz vor Český Krumlov (sollte man mit Zeit mal unbedingt besuchen!) gemeinsame Sache. Trotz der notwendigen hohen Aufmerksamkeit und einigen Wildwechseln, einer auch nicht ungefährlich unmittelbar vor uns, hatten wir hier wie auch danach in der Kontrolle in České Budějovice / Budweis genug Zeit, um zusammen zu quatschen und ein paar angenehme Kilometer im Duo hinter uns zu bringen. Nach dem Verpflegen in der dritten Kontrolle in Budweis, war es mit „angenehm“ dann aber vorbei. Die große Regenfront (auf dem Radar sah sie noch recht harmlos aus), ging nun mitten in der Nacht „all-in“. In Hluboká nad Vltavou (lohnt auch einen Besuch!) kurz unterhalb Budweis war ich trotz aller Regenbekleidung schon komplett regendurchnässt. Da ich bis dahin extrem gut unterwegs war – bis Budweis hatte ich für gut 400 km keine 16 Stunden brutto gebraucht – fuhr ich in dem Regenwetter, gegen das ich generell ja keine Abneigung hege, noch zwei Stunden bis zu einem EC-Hotel in Protivín weiter, bis ich einsah, dass eine Fortsetzung so wenig Sinn machte. Die Videos auf Instagram geben meine Stimmung wie die „Lage“ anschaulich wieder. So eine Nacht mit derart üblen Bedingungen war mir seit dem Ventoux-Brevet 2018 auf dem Weg von Freiburg nach Nyons jedenfalls nicht mehr untergekommen. Als es langsam nachließ, begann es auch schon zu dämmern und der Weg zur vierten Kontrolle in Blatna war mit Astwerk, Blättern und vor allem Blüten übersät – man hätte meinen können, letztere hätte jemand ausgestreut, um etwas gut zu machen… Hinter Blatna folgt dann zuerst ein elend langer Kaugummihügel bis Nové Mitrovice, hier hatte die Nässe auch von unten aufgehört und es war an der Zeit, die durch die Regenfahrt komplett ausgewaschene Kette zu pflegen bzw. zu ölen. Denn es gibt für mich nichts schlimmeres als ein Rad, dessen Antrieb Geräusche macht. Auf den nachfolgenden Metern bis Plzeň – tendenziell bergab aber immer unrhythmisch mit steilen Rampen durchsetzt – standen dann (endlich möchte man sagen!) wieder breitere Straßen mit besserem Belag auf dem Programm. Es ist bekannt, dass in Tschechien wie auch sonst in Osteuropa (zumindest soweit ich das beurteilen kann in Polen, der Slowakei, in Ungarn, in Slowenien und in Kroatien) recht zügig-brutal, auf eine gewisse Art „konsequent“ Auto gefahren wird. Das war auf den belebteren, da größeren Straßen nun auch festzustellen. Aber! Die Tschechen pflegen dabei einen anderen, nämlich weit partnerschaftlicheren Umgang miteinander auf der Straße. Ich kann mich nur an zwei Fälle erinnern, bei denen auf den vielen Kilometern bei unseren Nachbarn rücksichtslos bei Gegenverkehr überholt wurde. In der Regel wird – auch vor Kurven – aus hoher Geschwindigkeit scharf hinter einem abgebremst und dann, wenn frei ist, in weitem Bogen überholt. Da ich, sobald ich eine (enge) Kurve überblicke (insbesondere bergauf), Autofahrern immer ein Zeichen gebe, dass die Bahn frei ist, setzen die Tschechen natürlich auch dann schon mal vorab zum Überholen an. Eine übergroße Mehrzahl (die LKW-Fahrer durchgängig) bedanken sich beim Wiedereinscheren mit Warnblinkanlage. Bis so ein Miteinander und positives Verhalten im Straßenverkehr in Deutschland festzustellen ist, kann man sicherlich warten, bis die Hölle zufriert… Dass es nach der fünften Kontrolle in Plzeň bei KM 550 und dem tiefsten Punkt der Strecke zur Sache gehen würde, war klar: Bis Karlovy Vary / Karlsbad würde eine große Zahl von Steigungen warten – alle nicht übermäßig lang, aber immer wieder mit steileren Rampen durchsetzt, zudem bis zur kurzen Abfahrt nach Karlsbad alles bei Gesamttendenz „bergauf“. Der geneigte, hartschlägige Langstreckenradfahrer (zumindest die männlichen, der weibliche Teil weiß sich in der Regel kultivierter auszudrücken) beschreibt das kurz und prägnant mit dem Begriff „Hügelgeficke“. Trotzdem unterließ ich es wider besseres Wissen, weil es appetitfrei einfach nicht ging, ausreichend zu essen. Ein grober Fehler, aber der Situation geschuldet. Viele Kilometer mit Ausnahme der Passage von Manětín (der „Barockperle Westböhmens“ – mega!) obendrein dann noch auf Straßen, deren Zustand diese Bezeichnung kaum verdiente. Angeblich wurde dieser Abschnitt des 1000ers ja „mit besseren Straßen entschärft“… Ich will mir gar nicht vorstellen, wo der Track früher entlang ging. Fakt: Bevor man über solche Äcker fährt, nehme ich lieber 100 km ne Waldautobahn. Dort rollt es bedeutend besser. Zum Glück gab es in Toužim, wo ich im übertragenen Sinne „auf der Felge“ einrollte eine kleine, wenn auch schlecht sortierte Tanke. Aber: Auch schlecht sortierte Tankstellen haben zumindest immer gesalzene Nüsse und irgendeine Zuckerbrühe im Angebot. So auch hier. Beides ohne Begeisterung in den Körper hinein und mal ne gute halbe Stunde Schlaf auf dem Marktplatz in der mittlerweile etwas häufiger zu sehenden Sonne gaben die notwendigen Körner, um den Weg nach Karlsbad zur sechsten Kontrolle halbwegs manierlich zu Ende zu bringen. Straßen „mit-ohne“ Belag inklusive. Kommt man aus einem solchen „Outback“, ist der Kontrast zu einer unter „normalen Umständen“ ähnlich wie Baden-Baden sehr russisch geprägten Stadt mit ihrem Prunk aus Zeiten der K.u.K.-Monarchie immer äußerst krass. Alle Objektivität hinten angestellt würde ich bei Karlsbad aber eher zum Attribut „Protz“ wie „Prunk“ greifen, woran man meine geringe subjektive Begeisterung für den Ort erkennen mag – vielleicht lag das auch an dem sehr harzig-unfreundlichen Service in der Tankstelle dort wo die Kontrolle zu absolvieren war. Ich kann eben kein tschechisch, aber wenn sich jemand bemüht und sich zumindest mit Basisvokabular verständlich zu machen versucht (bevor sie/er es dann mit Englisch probiert), habe ich an anderen Stellen noch nie so etwas erlebt – insofern, wer nach Karlsbad möchte, sollte zumindest diese Übersicht (wie ich auch) verinnerlichen: Hallo - ahoj Bitte - prosím Danke - děkuji Entschuldigung - promiňte Ja - ano Nein - ne Stempel - razítko Toilette - toaleta Wasser - voda Bier - pivo Nochmals zum Veranschaulichen: Wer den Umgangston in Berlin als „grob“ bezeichnet, war noch nicht in dieser Tankstelle in Karlsbad. Denn es gibt bei „grob“ eben auch die Nuancen „grob-freundlich“ oder „grob-ehrlich“. Und damit lässt sich’s locker umgehen… Nunja. Es ging nachfolgend schon Richtung zweiten Sonnenuntergang auf dem letzten Abschnitt in Tschechien um via Loket (tolle Burg!), Mariánské Lázně / Marienbad (mega für die Fans von morbid-prächtigem k.u.k.-Charme) und Tachov zur siebten Kontrolle in Svatá Kateřina zu kommen. Der mittellange, rollende Anstieg hinter Loket (wenn auch etwas steiler-kupiert oben raus) wie die unerwartet gut asphaltierte Abfahrt nach Marienbad liefen erfreulich gut, ebenso wie der folgende flache Transfer bis Tachov. Dahinter mehrere derbe Rampen jeweils aus den Ortschaften zogen erheblich Körner, am letzten Helling hoch in Richtung Hoštka wurde es dann endgültig dunkel, die zweite Nacht begann. Ich hatte mich bei Einfahrt in den Ort gedanklich schon mit dem Thema „Was wäre das Sinnvollste in Sachen Essen gleich bei der Kontrolle nach der Abfahrt vom höchsten Punkt am Ortsausgang?“ beschäftigt, allerdings etwas zu früh wie sich gleich zeigen sollte: Vom letzten Haus des Ortes auf der rechten Straßenseite aus kamen plötzlich zwei große Hunde (es hatte schon vorher etwas geraschelt, aber kein Bellen) herausgeschossen und attackierten mich von rechts-seitlich bzw. hinten-links. Trotz dem zum Glück schon recht groß geketteten Gang und meiner Power war es sehr sehr knapp. Den Hund von „hinten-links“ konnte ich erst am Ortsschild nach gut 100 Metern abschütteln. Einmal mehr eine krasse Erfahrung in Sachen „Hunde“, wie ich sie 2017 in der Champagne beim alten „ Saar-600er “ schon einmal ähnlich machen durfte… Mit einem gewaltigen Adrenalinschub ging es also in die siebte Kontrolle, zur Stärkung eine als Gulaschsuppe ausgezeichnete Kuttelsuppe. Aber nach gut 725 km ist Dir kulinarisch eh alles egal. Hauptsache was Warmes und Salziges bevor es in die Nacht geht. Wieder in Deutschland angekommen beschloss ich bei aufkommender Müdigkeit möglichst bis Oberviechtach zu fahren, um mir dort einen Kurz-Schlafplatz zu suchen, bevor es deutlich profilierter werden sollte. Das gelang auch – die dortige Sparkasse wird gerade umgebaut und so blieb mir ein großer, beheizter Baucontainer, worin sich übergangsweise der Geldautomat befand, als perfekte Unterkunft. Schon hier war mir, als ich zum Napping die Schuhe ausgezogen hatte, klar, dass der Zustand meiner Füße später noch Ärger bereiten könnte, denn durch die Regenfahrt in der ersten Nacht waren meine Fußsohlen derart aufgeweicht und zum Teil gerissen, dass noch Unangenehmeres zu befürchten war. Eine knappe Stunde vor Sonnenaufgang ging es dann weiter in die wiederum zahllosen Wellen-Anstiege-Rampen (zwei echt giftige darunter mit „15% plus“ jeweils) vor Regensburg (Kontrolle 8) – ein wunderschöner Sonnenaufgang inklusive. Bis hierhin hatte ich nach meiner „Konsolidierungsphase“ hinter Linz, wo ich dem hohen Anfangstempo Tribut zollen musste, akzeptabel Druck auf dem Pedal. Auf den 30 Kilometern bis Kelheim ging die Leistungsfähigkeit mit steigenden Temperaturen aber sukzessive zurück, der Anstieg von Kelheim über einen echt bescheiden geführten Radweg mit Gravel im Steilstück war eine Qual. Und: Die Füße meldeten sich mehr oder weniger von einer auf die andere Sekunde mit heftigsten Schmerzen an den Sohlen. Aber es waren ja nur noch schwache 150 km bis ins Ziel. Also auf die Zähne beißen und im Kopf ignorieren, dass bis Weihenstephan (Kontrolle 9) nochmals ein „Hügelgeficke“ vom Allerfeinsten wie bereits zwischen Plzeň und Karlovy Vary auf dem Programm stand, wenn auch auf guten Straßenbelägen. Um es kurz zu machen: Da niemand erwarten kann, diese langen Distanzen durchgehend „wie geschnitten Brot“ abzufrühstücken muss man Schmerzen, Wetter und andere Unannehmlichkeiten einfach niederringen – solange man sich nicht der Gefahr von größeren gesundheitlichen Schäden früher oder später aussetzt. Dennoch war ich natürlich froh, gefühlt „irgendwann“ nach den ganzen Hügeln und endlosen Hopfenfeldern endlich in Weihenstephan bei der neunten Kontrolle einzutreffen. Mit gut zwei Stunden für knapp 50 Kilometer Restdistanz in der Hand – bei allen Fußschmerzen und der voraussehbar problematischen Einfahrt nach München mit vielen Ampeln und der Passage des „Englischen Gartens“ – waren das gute Aussichten, um noch unter 60 Stunden anzukommen. Auch ein Großevent von Mercedes-Benz am Odeonsplatz, die den ganzen Bereich großflächig abgesperrt hatten und meine schnell improvisierte Umfahrung kreuz-quer durch den Hofgarten mit der dort am Samstagabend chillenden Großstadtgesellschaft als „Bremse“ konnte das erfolgreiche Unterbieten der 60-Stunden-Marke dann nicht mehr verhindern. Fazit – lessons learned: Es wäre cleverer gewesen, zu Beginn etwas langsamer an die Sache heranzugehen. Mit Blick auf den Leistungsmesser habe ich sicher nicht überzogen, allerdings hat mir der Körper nach 300 km beim ersten langen Anstieg doch in Erinnerung gerufen, was er seit Ende Mai / Anfang Juni alles leisten durfte: „ Mittelgebirge Classique “ (1100 km / 24000 Hm), Jura-Brevet (615 km / 6500 Hm), nächtliche Geburtstagsfahrt zum Donon-Tempel (300 km / 3700 Hm) und die Superrandonnée „ Belchen Satt “ (620 km / 13000 Hm) … das hinterlässt Spuren und das hätte ich mehr in meine Taktik bzw. Herangehensweise einbeziehen müssen. Radwege sind autofrei und damit zuerst mal vermeintlich ein sicherer Ort für uns Radfahrer. Sieht man das unsichere, aber zügige Fahrverhalten mancher eBiker (ein Graus vor Linz!) wie sie einem an Engstellen entgegenkommen, bleiben nur noch Rettungsaktionen mit Rutschen über beide Felgen, damit es nicht zum Zusammenstoß kommt. Sowas braucht man nicht... Selbst als Belgien-Fan habe ich so viele schlechte Straßen auf so kleinem Raum nicht mal in der Wallonie rund um Charleroi / Mons / Tournai (wo es besonders schlimm ist) gesehen. Das ist das eine. Werden diese schlechten Straßen (die weitgehend auch ohne Leitpfosten und/oder seitliche weiße Streifen nachts ein großes Plus an Konzentration fordern!) dann trotz vorhandener, z.T. sichtbarer Alternative, auch noch gezielt eingebaut, geht es doch Richtung absurd bis sinnlos. Ohne Ablassen von Luft unterwegs (ich bin die 32er-STR-Contis dann letztlich bis es vom Belag her wieder besser wurde, mit dem Roubaix-Reifendruck 2021 von Heinrich Haussler gefahren, also deutlich unter 3 bar) und erneutem Aufpumpen an der tschechisch-deutschen Grenze wäre es eine noch größere Qual gewesen. Auf den Punkt gesprochen: Bergauf bekommt man bei derart schlechtem Untergrund die eigenen PS nicht auf die Straße, bergab gibt es wiederum keine Erholung. Oder anders gesagt: Auch mal entspannt rollen lassen bzw. hochkurbeln geht nicht, um die Mega-Landschaft zu genießen. Daher: Tschechien bzw. dieses Dreiländereck sicher sehr sehr gerne wieder – dieses Brevet auf diesem Track hat für mich aber keine große Wiederholungsgefahr. Ich weiß, der letzte Punkt ist ein hartes (vorläufiges?) Urteil, vielleicht auch begünstigt durch den Kontrast zwischen den gut zu fahrenden ersten 300 km und den sehr schweren folgenden gut 350 km, auf denen man schon grundsätzlich über die Hälfte der Gesamthöhenmeter zu bringen hat. Dass in weiten Teilen dieses Abschnitts Dunkelheit, Nässe, Gegenwind, Straßenbelag bzw. Trackführung das Ganze im Speziellen zusätzlich unerbaulich gestaltet haben, macht ein „milderes Fazit“ nicht einfacher. Im Gegenteil. Was ich unterwegs an Landschaft wie Orten und Kultur gesehen habe, hat mir gefallen und war die Mühen wert. Aber e ine tiefere Inspiration (bisher) leider Fehlanzeige. In diesem Sinne kann man nur mit Brecht festhalten: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“ Für alle Freunde der #FactsAndFigures - alle Daten zu meinem Brevet findet ihr en detail bei STRAVA
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